Vor 45 Jahren wurden Andreas Baader, Gudrrun Ensslin und Jan Carl-Raspe in Stammheim ermordet

Vor genau 45 Jahren, am Morgen des 18.10.1977, wurden Gudrun Ensslin, Andreas Baader, und Jan Carl Raspe im siebten Stock des Knastes von Stuttgart Stammheim tot aufgefunden. Dazu veröffentlichen wir den Beitrag von Netzwerk Freiheit für alle Politischen Gefangenen, der einen Auszug aus der Broschüre „Eine kurze Einführung in die Geschichte der RAF“ enthält:

(Zu beziehen über [email protected])

… Knapp ein Jahr später, im März 1977, etwa einen Monat vor der Urteilsverkündung im Stammheim-Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, begannen die politischen Gefangenen den vierten Hungerstreik und forderten die Anwendung der Mindestgarantien der Genfer Konvention für Kriegsgefangene, die Abschaffung der Isolation und der entsprechenden Trakte, und die Zusammenlegung zu Gruppen von mindestens jeweils 15 GenossInnen. Dem Hungerstreik schließen sich im Laufe der Zeit bis zu 100 Gefangene an.

Die offensichtlich geplante Zerstörung der Gefangenen in den Hochsicherheitstrakten, die absehbaren Verurteilungen zu lebenslänglich bis mehrfach lebenslänglich, und die Tatsache, dass 4 Gefangene den Knast bis zu dieser Zeit nicht überlebt hatten, veranlasst die RAF, die Befreiung der GenossInnen zum materiellen Ziel der Offensive 1977 zu machen.

Am 07. April 1977 wird Generalbundesanwalt Buback von dem RAF-„Kommando Ulrike Meinhof“ erschossen. Die Aktion nahm Bezug auf die Tötungen von Holger, Siegfried und Ulrike, für die Buback damals als Generalbundesanwalt, zuständig für die Haftbedingungen der Gefangenen, verantwortlich war.

Dazu heißt es u. a. weiter in der Kommandoerklärung:
„Im Rahmen der Counterstrategie der imperialistischen BRD gegen die Guerilla ist die Justiz kriegführendes Instrument … Buback – wie Schmidt sagt, ein tatkräftiger Kämpfer für diesen Staat – hat die Auseinandersetzung mit uns als Krieg begriffen und geführt …. Wir werden verhindern, dass die Bundesanwaltschaft den vierten kollektiven Hungerstreik der Gefangenen um minimale Menschenrechte benutzt, um Andreas, Gudrun und Jan zu ermorden, wie die psychologische Kriegsführung seit Ulrikes Tod offen propagiert.“

Am 28.04.1977 werden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Zwei Tage später, am 30.04.1977, wird der Hungerstreik beendet, nachdem das baden-württembergische Justizministerium ein Einlenken signalisierte. Im Juli werden einige Kleingruppen mit maximal acht Gefangenen gebildet.

Am 30.07.1977 misslingt die Entführung des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, der dabei erschossen wird.

Die Gefangenen werden nach dieser Aktion der RAF wieder total isoliert und antworten mit einem weiteren Hungerstreik, den sie aber nach 26 Tagen mit folgender Begründung abbrechen:

„Im Laufe der Woche haben wir von einem Mitglied von Amnesty International erfahren, dass der Vermittlungsversuch, den das Internationale Exekutivkomitee unternommen hat, um humane, d. h. Haftbedingungen, die den Forderungen der Ärzte entsprechen durchzusetzen, abgebrochen wurde, weil die Situation total verhärtet ist und in den Behörden von oben nach unten die Linie durchgesetzt wurde, nach den Anschlägen gegen den Bundesanwalt und Ponto an den Gefangenen ein Exempel zu statuieren. Das entspricht den Ankündigungen Rebmanns. Die Gefangenen haben daraufhin ….. am 26. Tag ihren Streik unterbrochen. Sie haben sich dazu entschlossen, nachdem sie damit offen zu Geiseln des Staatsschutzes erklärt worden sind …“

Am 5. September 1977 entführt das „Kommando Siegfried Hausner“ den Kapitalistenfunktionär Hanns-Martin Schleyer. Das Kommando fordert die Freilassung von 11 RAF-Gefangenen. Schleyer soll freigelassen werden, wenn die Gefangenen in ein Land ihrer Wahl ausgeflogen werden.
Schleyer als Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), des Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände (BDA) und Vorstandsmitglied von Daimler-Benz, war eine der mächtigsten Persönlichkeiten der BRD, („Boss der Bosse“) mit einer allerdings von der Presse immer verschwiegenen bzw. verharmlosten Nazikarriere. Er war bereits als 16 jähriger der faschistischen Bewegung beigetreten. Als Leiter des NS-Studentenwerks war er an der Gleichschaltung der Universitäten und der Entfernung der jüdischen und antifaschistischen StudentInnen beteiligt. Später wurde er Leiter des Präsidialbüros im Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren und war dort für die wirtschaftliche Eingliederung des tschechoslowakischen Industriepotentials in die deutsche Kriegswirtschaft zuständig.

Trotz Schleyers Führungsposition ist die Bundesregierung zu keiner Zeit bereit gewesen, auf den vorgeschlagenen Austausch einzugehen. Schleyer soll gefunden und befreit werden. Es wird eine totale Nachrichtensperre verhängt. Außerdem wird die Kontaktsperre für die ca. 100 politischen Gefangenen eingeführt: jeglicher Kontakt, auch zu den Anwälten, wird untersagt, Radio und Zeitungen werden entzogen. Die Gefangenen sind damit gänzlich dem Staat ausgeliefert, der sogar in Erwägung zieht, Gefangene zu erschießen: jeweils einen für jeden Toten, den es draußen gibt. Diese Maßnahmen wurden nicht nur von Reaktionären, wie dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauss oder von Bubacks Nachfolger Rebmann gefordert, sondern auch von seinem sozialdemokratischen Kollege Heinz Kühn. Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt forderte indirekt solche Maßnahmen:
„Der Staat muss daraufhin mit aller notwendigen Härte antworten“ und
„Ich bitte die Herren, doch jetzt auch einmal exotische Gedanken auszusprechen, was wir machen sollen“

Gleichzeitig wird eine totale Fahndung eingeleitet. So werden an wichtigen Verkehrsknotenpunkten Datenfunkstationen aufgestellt, über die alle vorbeifahrenden KraftfahrerInnen im Alter zwischen 30 – 35 Jahren über Interpol abgefragt werden. Das BKA verlangt Vertragsdurchschläge von allen in der BRD gekauften PKWs, in Köln werden alle Stromabnehmer auf ihre polizeiliche Meldung hin überprüft.

Am 13. Oktober 1977 wird die Lufthansa-Boeing 737 „Landshut“ mit 86 Passagieren während eines Fluges von Mallorca nach Frankfurt von einem palästinensischen Kommando entführt. Bereits in der Nacht zum 14. wird die Verbindung zur Schleyer-Entführung mit dem Eingang eines Ultimatums deutlich. Es wird die Freilassung derselben Gefangenen gefordert, zusätzlich noch die Freilassung von zwei Gefangenen aus der „Popular Front for the Liberation of Palestine“ (PFLP) aus einem türkischen Gefängnis und ein Lösegeld von 15 Millionen US-Doller an die Freigelassenen. Die Regierung lehnt die Freilassung ab. In der Nacht zum 18. Oktober wird die Lufthansamaschine in Somalia auf dem Flughafen von Mogadischu durch ein Kommando der GSG 9, einer Bundesgrenzschutzeinheit, gestürmt. Die Mitglieder des Kommandos werden, bis auf eine Schwerverletzte, Souhaila Andrawes, getötet.
Am Morgen des 18. Oktober werden Andreas Baader und Gudrun Ensslin tot, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller schwer verletzt in ihren Zellen aufgefunden. Jan stirbt wenige Stunden später. Sofort wird die offizielle Version des Selbstmordes verbreitet, obwohl erhebliche Unstimmigkeiten in den dann folgenden Untersuchungen aufgedeckt werden können. Andreas Baader soll die Pistole angeblich selbst festgehalten haben können, obwohl ein Gutachten aussagt, dass der Schuss aus einem Abstand von 30 – 40 cm abgefeuert worden ist und die Pistole selbst immerhin 17 cm maß. Gudrun Ensslins Leichnam zeigte zahlreiche leichte Verletzungen und Blutergüsse. Ebenso wie bei Ulrike Meinhof wird auch hier ein Histamintest, der darüber Auskunft gibt, ob ein noch lebender oder bereits toter Mensch aufgehängt wurde, unterlassen.

Irmgard Möller, die einzige Überlebende, sagte am 16.01.1978 vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages Baden-Württembergs aus:
„Für uns war klar, Selbstmord ist nicht Sache. Wir sind entschlossen zu kämpfen … Ich habe mir die Verletzungen nicht selbst beigebracht.“
(„Todesschüsse“ von Bakker Shut, Seite 274)

Am 19. Oktober 1977 geht bei der Redaktion einer französischen Zeitung ein Schreiben der RAF ein, in dem mitgeteilt wird, wo sich der tote Hanns-Martin Schleyer befindet: „Für unseren Schmerz und unsere Wut über die Massaker von Mogadischu und Stammheim ist sein Tod bedeutungslos.“

Vier von den elf Gefangenen, die befreit werden sollten, überlebten die Haft nicht. Am 12.11.1977 wurde Ingrid Schubert in München-Stadelheim tot aufgefunden. Für den Staat war es natürlich auch „Selbstmord“.

Alle Menschen und Initiativen, die das öffentlich in Frage stellten, wurden kriminalisiert. So wurde die staatliche verordnete „Wahrheit“, die bis heute nie objektiv bewiesen werden konnte, zur herrschenden Wahrheit, die sich über die bürgerlichen Medien in die Köpfe der Menschen fraß.

Während die Linke in der BRD lange zu den Ereignissen um die toten Gefangenen schwieg, gab es in anderen Ländern massive Proteste, Demonstrationen und militante Aktionen gegen deutsche Einrichtungen und Firmen u.a. in Frankreich, Italien, Griechenland und den USA.
Nach der Offensive der RAF 1977 werden im Rahmen der staatlichen Fahndung kaum noch Gefangenen mehr gemacht. Bis Juni 1979 werden im Zuge der Fahndung drei Gesuchte erschossen: Willy Peter Stoll, Michael Knoll und Elisabeth von Dyck. Rolf Heißler überlebte schwer verletzt.