Der palästinensische Gefangene Karim Younes, der am längsten ununterbrochen von der Besatzung festgehalten wird, schrieb einen Brief aus seiner Zelle im Hadarim-Gefängnis, um nach 40 Jahren Haft am 5. Januar 2023 freigelassen zu werden.
Karim Younes wird seit dem 6. Januar 1983 von den Besatzungstruppen inhaftiert. Ursprünglich wegen Widerstands gegen die israelische Besatzung zum Tode verurteilt, wurde er später zu einer 40-jährige Haftstrafe geächtet. Younes, der aus dem palästinensischen Dorf Ara stammt, wurde im Rahmen mehrerer Gefangenenaustausche und Vereinbarungen wiederholt die Freilassung verweigert, weil er von der Besatzung als “israelischer” Staatsbürger eingestuft wird – obwohl seine Behandlung und seine Haftbedingungen denen aller anderen palästinensischen Gefangenen entsprechen.
Seine Freilassung am kommenden Donnerstag wird von der palästinensischen Bevölkerung seit langem erwartet.
Nachfolgend der Wortlaut seiner Botschaft, die seine Anwältin Ghaid Qassem übermittelte, nachdem sie ihn am Sonntag, dem 1. Januar, besucht hatte:
In wenigen Tagen werde ich meine Zelle verlassen, und ich fürchte mich vor der Nähe einer Welt, die so anders ist als meine eigene. Ich nähere mich dem Moment, in dem ich meine alten Wunden und meine alten Erinnerungen überwinden muss, dem Moment, in dem ich mein altes Bild anlächeln kann, ohne Reue oder Enttäuschung zu empfinden, und ohne das Offensichtliche beweisen zu müssen: was ich vierzig Jahre lang gelebt und durchlebt habe, um zu zeigen, dass ich mich an meinen neuen Spiegel anpassen kann. Ich kehre zurück, um mit meinem Volk überall die Hymne meines Heimatlandes zu singen, die Hymne der Fedayeen, die Hymne der Rückkehr und der Befreiung.
Hier bin ich nun, im Begriff, meine dunkle Zelle zu verlassen, in der ich gelernt habe, mich nicht vor der Dunkelheit zu fürchten und in der ich gelernt habe, mich nicht entfremdet oder einsam zu fühlen, denn ich bin unter meinen Brüdern. Dies ist eine Bruderschaft des Zwangs und des Leidens, eine Bruderschaft, die uns durch einen einzigen Eid und einen einzigen Bund vereint hat.
Ich werde meine Zelle verlassen, die ich schon immer verlassen wollte, um mir meine Freiheit zu nehmen, begleitet von meinen Brüdern auf diesem Weg und meinen Mitstreitern im Kampf, und stelle mir einen Empfang vor, der den Sieg und eine große Errungenschaft ausdrückt. Ich fühle mich unwohl und versuche, den Schmerz der Trennung und das Leid des Abschieds von meinen Brüdern zu vermeiden. Ich dachte, ich würde mein Leben in ihrer Gesellschaft vollenden, und sie sind definitiv Konstanten in meinem Leben, die wie Berge stehen. Als die Stunde meines Abgangs näher rückt, fühle ich mich enttäuscht und hilflos, vor allem, wenn ich einigen von ihnen in die Augen sehe, die seit mehr als drei Jahrzehnten inhaftiert sind.
Ich werde meine Zelle verlassen und gehen. Aber meine Seele wird bei denen bleiben, die an der Glut festhalten, die die Glut des palästinensischen Kampfes als Ganzes bewahren, bei denen, die nicht zerbrochen sind und nicht zerbrechen werden, auch wenn die Jahre ihres Lebens über ihnen, vor ihnen und hinter ihnen entschwinden. Sie streben immer noch danach, die Sonne der Freiheit in der verbleibenden Zeit ihres Lebens zu sehen, bevor ihr Lebenswille ins Wanken gerät und nachlässt.
Ich werde meine Zelle verlassen, und plötzlich drängen und tanzen die Gedanken auf der Schwelle meines Geistes, verwirren meinen Verstand, und so frage ich mich, untypisch verwirrt: Wie lange kann ein Gefangener seinen eigenen Körper auf dem Rücken tragen und sein Leben fortsetzen, während der Tod mit ihm geht? Wie lange wird dieses Leiden und dieser langsame Tod sein Schicksal bleiben? Im Schatten einer unbekannten Zukunft, eines verschlossenen Horizonts, einer verlorenen Hoffnung und einer gesteigerten Angst durch das, was wir sehen und beobachten an Selbstgefälligkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der Unterdrückung durch die Banden der Besatzung, die einen Zustand der Brutalität besitzen und die die Verlassenheit der Welt eines wehrlosen Volkes ausnutzen. Das Leben jenen Volkes welches jeden Tag verschlungen wird, ohne dass sie erkennen, dass ihre Wunden nicht heilen werden und es keine Hoffnung auf ein ruhiges und stabiles Leben gibt, haben sie dennoch die Flamme und die Fähigkeit behalten, weiterzumachen.
Ich verlasse meine Zelle in dem Wissen, dass unser Schiff von allen Seiten von internationalen Wellen, regionalen Stürmen aus Ost und West, lokalen Erdbeben und aggressiven Vulkanen zermalmt wird, die es zu verschlingen drohen, während es sich immer weiter von dem Ufer entfernt, an dem sein Kapitän vor über einem Vierteljahrhundert zu ankern versuchte.
Ich werde meine Zelle verlassen und betonen, dass wir stolz auf unser Volk waren und immer noch sind, und dass unser Volk, wo auch immer es sich im Heimatland und in der Diaspora befindet, uns und unseren Kampf in all diesen Jahren umarmt hat und unserem Ziel und dem Anliegen unseres Volkes treu geblieben ist, was uns immer wieder neue Hoffnung und eine feste Gewissheit in der Gerechtigkeit unserer Anstrengungen, die Aufrichtigkeit unserer Zugehörigkeit und die Lebensfähigkeit und das Wesen unseres Kampfes gibt.
Ich verlasse meine Zelle und ziehe meinen Hut vor einer Generation, die sicherlich anders ist als die meine, einer Generation junger Aktivisten, die in den letzten Jahren die Führung in der Szene übernommen haben, einer Generation, der klar ist, dass sie stärker, kühner, mutiger ist und es mehr verdient, das Banner zu erhalten. Diese Generation ist weiterhin diejenigen, die daran interessiert ist, die Forderungen und die Gebote unserer verstreuten sowie vertriebenen Menschen umzusetzen, um ihr Recht auf Rückkehr und Selbstbestimmung zu erhalten, so ist diese aufstrebende Generation, trotz der Atmosphäre des Verfalls, eine gesegnet.
In wenigen Tagen werde ich meine Zelle verlassen, und ich fürchte mich vor der Nähe einer Welt, die so anders ist als die meine. Ich nähere mich dem Moment, in dem ich meine alten Wunden und meine alten Erinnerungen überwinden muss, dem Moment, in dem ich mein altes Bild anlächeln kann, ohne Reue oder Enttäuschung zu empfinden, und ohne das Offensichtliche beweisen zu müssen: was ich vierzig Jahre lang gelebt und durchlebt habe, um zu zeigen, dass ich mich an meinen neuen Spiegel anpassen kann. Ich kehre zurück, um mit meinem Volk überall die Hymne meines Heimatlandes zu singen, die Hymne der Fedayeen, die Hymne der Rückkehr und der Befreiung.