Pressemitteilung von Samidoun (Palestinian Prisoner Solidarity Network)
zu der Veranstaltung „Palästinensische Frauen im Befreiungskampf“, 15.03.2019, Berlin
Illiberaler Angriff auf die Meinungsfreiheit
1. Der Rahmen
Die Veranstaltung „Palästinensische Frauen im Befreiungskampf“, organisiert von Samidoun, die am 15.03.2019 in der Dersim-Kulturgemeinde in Berlin stattfinden sollte, hatte zum Ziel die Lebensgeschichten von zwei palästinensischen Frauen unterschiedlicher Generationen sichtbar zu machen und den Internationalen Frauentag zu würdigen.
Die eingeladenen Sprecherinnen Rasmea Odeh (*1947) und Dareen Tatour (*1982) sollten Einblick in marginalisierte Narrative von Erfahrung von Folter, Inhaftierung, sowie Kunst und gesellschaftlichem Engagement als Formen des gewaltfreien Widerstands geben. Im Anschluss waren Tanz-und Theatervorführungen geplant, sowie Austausch und Diskussion mit dem vielfältigen Berliner Publikum.
2. Die Sprecherinnen
Rasmea Odeh ist eine palästinensische Frauenrechtsaktivistin, die 1969 von einem Militärgericht der israelischen Besatzung verurteilt wurde, nachdem sie unter Folter und sexualisierter Gewalt die Beteiligung an einem Anschlag zugegeben hatte. Ihr Geständnis widerrief sie vor Gericht, sowie vor dem UN-Sonderkomitee für Untersuchungen israelischer menschenrechtsbeeinträchtigender Praktiken in den besetzten Gebieten. 1979 kam sie im Rahmen eines Gefangenenaustausch frei. Odeh hat in Chicago das Arab Women’s Committee mitbegründet. Ihr wurde für ihre Arbeit im Bereich der politischen Bildung 2013 der „Outstanding Community Leader Award“ von der Chicago Cultural Alliance verliehen.
Dareen Tatour ist eine palästinensische Dichterin mit israelischer Staatsbürgerschaft, die im Oktober 2015 für die Veröffentlichung ihres Gedichts “Resist, My People, Resist Them” vor einem israelischen Gericht für Aufwiegelung und Unterstützung von Terrorismus zu Hausarrest und einer fünf-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. PEN America forderte die unmittelbare Entlassung der Dichterin.
3. Die Verhinderung der Veranstaltung
Am Nachmittag des 15.03.2019 untersagte die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport Odeh die Teilnahme an der Veranstaltung. Die Ausländerbehörde behauptete wahrheitswidrig, dass Rasmea Odeh durch ihre bloße Präsenz in Berlin eine Gefahr für die Sicherheit darstelle und hob ihr Schengen-Visum auf.
Der israelische Minister für strategische Angelegenheiten Gilad Erdan hat mitgeteilt, dass dieses Verbot durch die Intervention seines Ministeriums, einer Reihe jüdischer Organisationen, sowie des israelischen Botschafters erfolgte.
4. Die Presse
Bereits einige Tage vor der geplanten Veranstaltung wurde Rasmea Odeh in mehreren tendenziösen Artikeln ungeprüft als „Terroristin“, „Hasspredigerin“ und “Antisemitin“ gebrandmarkt. Hier gilt festzuhalten, dass bis zum heutigen Tag kein/e einzige/r Journalist/in den direkten Kontakt zu Rasmea Odeh für eine Stellungnahme oder ein Interview gesucht hat. Weiterhin ist festzuhalten, dass in dem Großteil der Artikel der lokalen Presse (Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost) die Tatsache, dass Odehs Geständnis unter Folter und sexualisierter Gewalt stattgefunden hat, nicht erwähnt wird. Die Artikel fanden rasch und ungeprüft große mediale Verbreitung. Auch Politiker wie der Berliner Innensenator warfen Odeh „antisemitische Propaganda“ vor, der US-Botschafter sogar „Mord“ und „Terrorismus“. Bisher gab es nur einen Artikel in der taz, der festhält, dass die Meinungsfreiheit durch das Verbot der Veranstaltung in Gefahr ist.
Rasema Odeh, Dareen Tatour und die Organisator*innen der Veranstaltung stellen klar, dass sie jegliche Form von Gewalt, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus strikt ablehnen.
5. Rechtliche Stellungnahme
Am 18.03.2019 wurde ein Eilverfahren am Verwaltungsgericht Berlin beantragt. Ziel ist, die Ausweisung von Rasmea Odeh zu verhindern.
Odehs Anwältin resümiert: „Ein Visum aufzuheben aufgrund einer Sache, die so weit in der Vergangenheit passiert sein soll, ist juristisch gesehen ein völliges Novum, zumal es ja hier um ein erfoltertes Geständnis geht, was sogar das UN-Sonderkomitee für Untersuchungen israelischer menschenrechtsbeeinträchtigender Praktiken in den besetzen Gebieten festgestellt hat.“
6. Zusammenfassung
Rasmea Odehs Rechte wurden auf mehreren Ebenen verletzt:
1. Durch tendenziöse Berichterstattung und Verleumdung als „Terroristin“, „Mörderin” und „Antisemitin” wurde Odeh schwer in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt.
2. Durch die Verhinderung der Veranstaltung wurde Odeh in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.
3. Durch die Entziehung ihres Visums wurde Odehs Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten.
7. Aussicht
Eine Zurücknahme der haltlosen Vorwürfe gegen Rasmea Odeh seitens des Berliner Senats, des Berliner Bürgermeisters, Michael Müller, sowie des Senators für Inneres, Andreas Geisel, steht aus. Ebenso wie eine differenzierte und objektive Berichterstattung.
Wir würden uns eine Kontaktaufnahme von Seiten des Senats mit uns wünschen, sowie eine Bekennung zur verfassungs-und völkerrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit.
Angesichts der Geschehnisse können wir nicht umhin eine Einschüchterung und Kriminalisierung von palästinensischen und migrantischen Stimmen und Narrativen in dem Umgang mit der geplanten Veranstaltung zu erkennen.
Samidoun, sowie die Anwältin Rasmea Odehs, stehen jederzeit zu klarstellenden Gesprächen zur Verfügung.
Kontakt: samidoun@samidoun.net
Samidoun
Berlin, den 21.03.2019
Appendix
Rasma Odehs Aussagen vor dem UN-Sonderkomitee 1979:
„Frau Odeh wurde in der Nacht vom 28. Februar 1969 mit ihrem Vater und zwei Schwestern verhaftet. Das Familienhaus wurde einige Tage später in die Luft gejagt. Nachdem sie 45 Tage lang im Russian Compound in Jerusalem und im Ramle Gefängnis verhört wurde (inklusive 25 Tage ununterbrochene Verhöre am Tag und in der Nacht), wurde sie am 22. Januar 1970 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl sie die Vorwürfe, eine Bombe in einem Supermarkt gelegt zu haben, verneint.
(…)
Frau Odeh gab eine detaillierte Beschreibung ihrer Folter während der Verhöre ab. Sie beschrieb auch die psychische Folter die sie erfuhr, als sie die Folter ihres Vaters, ihrer Schwester, ihres Verlobten und anderer Angehöriger mit ansehen musste. Sie beschrieb wie die physische Folter der sie ausgesetzt war, unter anderem zwangsweise Entkleidung und Nacktheit, Fesselungen, Schläge mit Stöcken und Metallstangen auf ihren Kopf und ihren Körper, zu Hörproblemen führten, die über 1 Jahr andauerten.
Frau Odeh gab auch an, dass sie Opfer sexualisierter Gewalt wurde, und zwar während sie mit den Verhörbeamten alleine war, und auch in der Anwesenheit ihres Vaters. Sie gab an, dass der Verhörbeamte den Vater dazu zwingen wollte sie zu vergewaltigen, und dass der Vater aufgrund dieser Aufforderung das Bewusstsein verlor. Ähnliches wurde ihr in Anwesenheit anderer Kollegen angetan. Frau Odeh erklärte, dass sie während der Verhöre gezwungen wurde nackt zu bleiben, bzw. dass ihr die Kleider vom Leib gerissen wurden.“